Donnerstag, 24. Mai 2012

Der vollkommene Satz

Ich habe ein Gedicht gesehen. Mehr zufällig, ist ja auch egal wo. Aber abgesehen davon, dass dieses Gedicht wunderschön ist, beinhaltet es meiner Meinung nach den perfekten und vollkommenen Satz: "Einmal war Gegenwart". Lasst ihn euch auf der Zunge zergehen. Dieser Satz spricht von Träumen, Ängsten, Erinnerungen und ist so simpel gestrickt und doch so aussagend. Jeder verbindet etwas mit ihm, wenn man nur einmal einen Moment über ihn nachdenkt. Drei Worte, die so viel Leben enthalten. Drei Worte die vollkommen unterschiedliche Geschichten erzählen. Drei Worte, die bei jedem einzelnen zum Leben erwachen. Ich habe selten einen so vollkommenen Satz gehört und deswegen möchte ich euch das ganze Gedicht zeigen.


Anfang III

Von Mund zu Mund vertiefen wir das Schweigen.
Die Hände streun Vergessen auf die Haut
Wie Staub. So werden langsam wir vertraut
Dem Abschied. Dass wir es nicht zeigen.

Dass wir noch lachen. Dass wir uns berühren
Wie damals. Fast. Der Aufruhr ist vorbei.
Einmal war Gegenwart. Was war das: Frei?
Woher die Furcht einander zu verlieren.

Wir sagen das nicht mehr: Ich liebe dich.
Die Zukunft hat uns eingeholt, die Zeit.
Wir teilen eine Art von Einsamkeit,
wir allen auseinander: Du und ich.

Wir halten uns. Wir halten uns bereit.

Barbara Köhler

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